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Hetzerische Meinungen: Die Freiheit ist weitgefasst – die Verantwortung aber auch

Hetzerische Meinungen
Photo by William Iven on Unsplash

Dass im Facebook regelmäßig die Grenzen des Anstands überschritten werden, ist bekannt und wurde auch hier schon mehrfach thematisiert, nicht zuletzt im Zusammenhang mit einem recht prominenten Fall. Andererseits fällt nicht schon jede unanständige Positionierung so weit aus dem Rahmen, dass selbst das hohe Gut der Meinungsfreiheit sie nicht mehr retten kann. Es gibt auch ein Recht auf die Äußerung hirnrissiger Meinungen.

Auch Hetze kann zulässige Meinungsäußerung sein

Das musste nun auch die Landesmedienanstalt Berlin einsehen, als ihr das BVerfG eine verhängte Geldbuße gegen den NPD-Landesverband Berlin nicht durchgehen ließ, weil sie dabei das Grundrecht der Partei auf Meinungsfreiheit verletzt habe (BVerfG, Beschluss vom 27.8.2019; Az. 1 BvR 811/17). Der für das Einschreiten der Landesmedienanstalt maßgebende Jugendschutz stelle auch für hetzerische und rassistische Einlassungen keine pauschale Schranke der Meinungsfreiheit dar, obgleich das Jugendschutzgesetz im Einzelfall als verfassungsgemäße Grundrechtsschranke gelten kann – nach sorgfältiger Abwägung gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit. Diese ist offenbar seitens der Landesmedienanstalt nicht erfolgt.

Richtig war es jedoch, sich vom Gesamterscheinungsbild auf der  Facebookseite des NPD-Landesverbands leiten zu lassen, denn auch, was unterhalb des Beitrags (oder neben diesem) steht, ist entscheidungsrelevant. Sowohl die eigenen als auch die im Facebook verbreiteten Äußerungen Dritter (also die Kommentare), die sich der NPD-Landesverband insoweit zurechnen lassen muss, seien jedoch, so das BverfG, als Meinungsäußerungen geschützt, auch wenn sie einen hetzerischen und möglicherweise offen rassistischen Gehalt aufwiesen.

Meinungsfreiheit gilt auch für Parteien

Hetzerischer und rassistischer Gehalt – das war wohl der Fall, ging es doch darum, dass zu einem Bericht über eine Schlägerei in einer Flüchtlingsunterkunft in pauschalisierender und herabsetzender Weise gegen Asylbewerber und Flüchtlinge Stellung bezogen wurde. Die Landesmedienanstalt hatte daraufhin eine Geldbuße wegen Verstoßes gegen § 24 I Nr. 8, III JMStV festgesetzt. Der NPD-Landesverband hätte gem. § 7 I 2 JMStV einen Jugendschutzbeauftragten bestellen müssen, da die Inhalte der Internetpräsenz gem. § 4 I 1 Nr. 3 JMStV jugendgefährdend seien.

Könne man so nicht sagen, entschied das BVerfG. Ein pauschales Abstellen auf eine grob vereinfachte Darstellung und Eignung einer Äußerung zum Schüren von Ressentiments gegen Minderheiten genügt nicht, um das Recht auf freie Meinungsäußerung einer Partei einzuschränken, das sich für die Partei als solche aus Art. 21 I 1 GG ergibt: Politische Parteien können sich wegen des Auftrags zur Mitwirkung an der demokratischen Meinungsbildung auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit nach GG Art. 5 I 1 und II berufen.

Die gute Nachricht steht im Nebensatz

Das riecht danach, als gebe der Rechtsstaat mit dieser weiten Auslegung der Meinungsfreiheit seinen Gegnern nicht nur grundsätzlich die Mittel an die Hand, ihn zu beseitigen, sondern schütze auch noch den dafür notwendigen Missbrauch des Rechts auf Meinungsfreiheit für Hetze und Menschenverachtung. Gerade so, als ebne er nicht nur den Weg, sondern räume auch noch eiligst etwaige Hindernisse aus demselben, wenn es bei der Abwicklung der Demokratie mal hakt.

Diese Lesart bedeutete nicht nur, die gesellschaftliche Relevanz der 1-Prozent-Partei NPD zu überschätzen, sie wäre auch nicht nur viel zu pessimistisch, was die Sattelfestigkeit unserer Demokratie und ihrer Institutionen angeht, sie würde vor allem verkennen, was das BVerfG auch entschied: dass alles, was auf der Facebookseite einer Partei steht, ihr zuzurechnen ist und sich der Abwägungsprozess zwischen dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit und möglichen Schranken derselben damit auch auf Kommentare erstreckt.

Das wiederum ist in dieser Klarheit eine Stärkung des demokratischen Anstands in den Sozialen Medien.

Der Beitrag stammt von unserem freien Autor Josef Bordat. Er ist Teil unserer Reihe “Berichte aus der Parallelwelt”. Dort werfen Autoren aus anderen Fachbereichen einen Blick auf die Rechtswissenschaft in Theorie und Praxis. Die Beiträge betrachten, anders als unsere sonstigen Fachbeiträge Begebenheiten und Rechtsfälle daher auch nicht juristisch, sondern aus einem völlig anderen Blickwinkel. Aus welchem, das soll der Beurteilung der Leser überlassen bleiben. Interessant wird es, wie wir meinen, allemal.

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