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Causa Böhmermann: Strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingestellt

Böhmermann Ermittlungsverfahren eingestellt
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[:de]Neues im Fall Böhmermann: Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren wurde seitens der Staatsanwaltschaft Mainz eingestellt. 

Es  gibt interessante Neuigkeiten in der Causa Böhmermann.

Aber zunächst ein kurzer Rückblick: Nach der Ausstrahlung des inzwischen allseits bekannten Schmähgedichts hatte der türkische Staatspräsident Erdogan am 8. April 2016 Strafantrag wegen Beleidigung nach § 185 StGB gestellt. Im Anschluss hatte die Bundesregierung am 13. April 2016 die Ermächtigung zur Strafverfolgung wegen des Vorwurfs der Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten nach § 103 des Strafgesetzbuches erteilt.

Staatsanwaltschaft Mainz stellt Ermittlungsverfahren gegen Böhmermann ein

Das diesbezügliche Ermittlungsverfahren gegen Jan Böhmermann wurde jetzt gemäß § 170 Abs. 2 StPO von der Staatsanwaltschaft Mainz eingestellt. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen waren strafbare Handlungen nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachzuweisen.

Diese Entscheidung der Staatsanwaltschaft ist zutreffend und zu begrüßen. Sie entspricht in der wesentlichen Argumentation und im Ergebnis der von uns bereits im April diesen Jahres geäußerten Rechtsansicht.

Grundlegende Ausgangsüberlegung im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren

Das Ergebnis der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen macht deutlich, dass bei einer genauen Prüfung der konkreten Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gerade keine Beleidigung nach § 185 StGB vorliegt und das Schmähgedicht von Jan Böhmermann mitsamt seiner gesamten Präsentation letztlich von der Meinungs- und Kunstfreiheit geschützt ist.

Wie die StA Mainz zutreffend ausführt, erfordert der objektive Tatbestand eines Beleidigungsdeliktes nach §§ 103, 185 StGB die Äußerung eines herabwürdigenden persönlichen Werturteils über einen Dritten. Bereits diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt, weil Böhmermann Erdogan nicht durch ein eigenes Werturteils persönlich diffamieren wollte:

Jan Böhmermann setzt in seiner Rolle als Satiriker gerade nicht die Person Recep Tayyip Erdogan persönlich herab. Vielmehr weist er auf dessen dünnhäutige Reaktion nach dem Satire-Beitrag in der Sendung „extra 3“ hin, welchen der türkische Präsident verbieten lassen wollte. Dafür wählte Jan Böhmermann das Mittel der Abgrenzung. Sein Gedicht zeigte nicht nur dem türkischen Präsidenten auf, wann Äußerungen in Deutschland nach den rechtlichen Vorgaben – im Gegensatz zum „extra 3“-Beitrag – nicht mehr hingenommen werden müssen. In welchen Fällen also eine entsprechende Reaktion des türkischen Präsidenten verständlich und legitim gewesen wäre, weil es sich um eine massive Persönlichkeitsrechtsverletzung und strafrechtlich relevante Beleidigungen (in Versform) gehandelt hätte“, RA Dr. Niklas Haberkamm, LL.M. oec. in seinem Beitrag vom 06. April 2016.

Das Schmähgedicht vom 31. März 2016 sollte dementsprechend lediglich als Beispiel für eine Überschreitung der Meinungsfreiheit dienen und daher weder ausdrücklich eine Ansicht des Beschuldigten im Hinblick auf persönliche Eigenschaften des türkischen Staatspräsidenten wiedergeben noch – wenn auch überzogene satirische – Zuweisungen enthalten, wie die StA Mainz in ihrer Pressemitteilung ausführt.

Keine Schmähkritik wegen Auseinandersetzung in der Sache

Nach dieser einleitenden grundsätzlichen Feststellung arbeitet die StA Mainz zutreffend heraus, dass vorliegend kein Fall einer grundsätzlich immer unzulässigen Schmähkritik vorliegt. Zunächst wird nochmals die besondere Bedeutung und der weite Schutzbereich der Meinungsfreiheit, insbesondere bei Angelegenheiten von öffentlichem Interesse und im politischen Meinungskampf, betont. Anschließend lehnt die StA Mainz das Vorliegen einer Schmähkritik ab: Anders als beim Schmähgedicht von Böhmermann geht es bei der Schmähkritik gerade nicht mehr um eine Auseinandersetzung in der Sache, sondern um die Diffamierung der Person.

Und eine solche persönliche Diffamierung der Person Erdogan wurde letztlich bereits mit der aufgezeigten Eingangsüberlegung der StA Mainz verneint, nach der Jan Böhmermann mit seinem Schmähgedicht gerade eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage, nämlich die Frage der Grenze der Meinungsfreiheit, aufgreift. Sein Beitrag hat damit einen glasklaren Sachzusammenhang und eine persönliche Herabsetzung der Person Erdogan durch Böhmermann im Sinne einer Privatfehde ohne übergeordneten sachlichen Kontext scheidet vorliegend aus:

Dass das Schmähgedicht einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung leistet, nämlich hinsichtlich der Frage der Grenzen von Satire und Meinungsfreiheit und dem Umgang von Staatsoberhäupten mit Kritik, kann – unter Berücksichtigung der medialen Aufregung zum Thema – von niemandem ernsthaft bestritten werden. Die damit hinter dem Gedicht stehende Frage der Grenze der Meinungsfreiheit in Deutschland ist nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ohne Zweifel eine „die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage“, so dass die Annahme einer Schmähkritik bereits nur noch ausnahmsweise in Betracht kommt“, RA Dr. Niklas Haberkamm, LL.M. oec. in seinem Beitrag vom 14. April 2016.

Neben diesem sachlichen Kontextbezug ist in diesem Zusammenhang weiterhin zu berücksichtigen, dass Erdogan zuvor durch seinen Versuch, den zulässigen „extra 3“-Beitrag zu zensieren, eigenständig den Anlass für diese Diskussion dieser die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage gesetzt hat.

Besondere Prüfungsvorgaben bei der Satire

Auch die besonderen Prüfungsvorgaben zur Satire werden von der StA Mainz berücksichtigt, der Aussagekern wird unabhängig von seiner satirischen Einkleidung geprüft, für die ein erheblich großzügiger Prüfungsmaßstab gilt:

Im ersten Prüfungsschritt ist der eigentliche Aussagekern der Satire zu ermitteln. Dieser Aussagekern muss also abgetrennt von der satirischen Einkleidung betrachtet werden. Aussagekern des Schmähgedichts ist die Kritik an Erdogans Zensurversuch hinsichtlich des zulässigen „extra3“-Beitrags. Damit betrifft der Aussagekern auch die generelle Haltung des Staatsoberhauptes Erdogan gegenüber Kritik, die sich unter anderem durch sein Vorgehen gegen kritische Medien sowie die sehr große Anzahl von Verfahren wegen Präsidentenbeleidigungen in der Türkei manifestiert“, RA Dr. Niklas Haberkamm, LL.M. oec. in seinem Beitrag vom 14. April 2016.

Die StA Mainz stellt klar, dass die Maßstäbe für die Beurteilung der satirischen Einkleidung weniger streng sind, weil das Mittel der Verfremdung der satirischen Einkleidung gerade wesenseigen ist. Und diese schlimmen Übertreibungen und Verzerrungen in der satirischen Einkleidung des Schmähgedichts dienen im vorliegenden Fall auch dem übergeordneten Zweck, das Überschreiten der Grenze zulässigen Meinungsfreiheit in möglichst deutlicher Form aufzuzeigen. Damit unterstützt gerade die Heftigkeit der satrischen Einkleidung den davon gesondert zu betrachtenden Aussagekern des Schmähgedichts.

Eröffnung des Schutzbereichs der Kunstfreiheit

Auch ohne die erforderliche Klarstellung, dass nicht jede Satire immer Kunst sein muss, geht die StA Mainz bei seiner weiteren Prüfung im Ergebnis zutreffend dann auch von der Eröffnung des Schutzbereichs der Kunstfreiheit aus. Dabei ist nicht nur das in simpler Reimform als metrische Einheit vorgetragene Gedicht, sondern die gesamte Inszenierung in der Sendung in die Betrachtung in die Wertung einzubeziehen:

Das Schmähgedicht geht aber nicht nur aufgrund seiner Versform, sondern auch aufgrund des auf der sogenannten Metaebene angesprochenen Gesamtzusammenhangs, sowie dem eingesetzten Mittel der Abgrenzung in Verbindung mit maßloser Übertreibung über eine gewöhnliche Meinungsäußerung hinaus. Kunst muss gerade nicht ästhetisch oder anspruchsvoll sein, Kunst darf auch widerlich und primitiv sein„, RA Dr. Niklas Haberkamm, LL.M. oec. in seinem Beitrag vom 14. April 2016.

Die StA Mainz schließt die Prüfung des objektiven Tatbestands der Beleidigung dann letztlich ohne eine endgültige Verneinung des Vorliegens der Voraussetzungen des objektiven Tatbestandes nach § 185 StGB.  Unter klarem Hinweis auf schwerwiegende Bedenken hinsichtlich des Vorliegens dieser Voraussetzungen, führt sie aus, dass eine diesbezügliche abschließende Wertung nicht erforderlich sei, weil jedenfalls ein vorsätzlich beleidigendes Handeln nicht nachzuweisen war.

Der subjektive Tatbestand bzw. die erforderliche kunstspezifische Betrachtung und der Faktizitätsanspruch

Im Rahmen der damit letztlich entscheidenden Vorsatzprüfung ähneln die Erwägungen der StA Mainz dann interessanterweise den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur kunstspezifischen Betrachtung und zum Faktizitätsanspruch, welche im zivilrechtlichen Verfahren unbedingt zu beachten sind:

In einem weiteren Prüfungsschritt ist dann aber festzustellen, ob der beanstandete Teil der fragliche Kunstform gegenüber dem Rezipienten einen umfassenden Faktizitätsanspruch erhebt oder nicht. Das Bundesverfassungsgericht verlangt in diesem Zusammenhang eine sogenannte kunstspezifische Betrachtung. Einfacher ausgedrückt ist also zu prüfen, ob der konkret beanstandete Teil der Kunstform, hier also die schwerwiegenden Beleidigungen im Gedicht, vom Zuschauer als Schilderung tatsächlicher Geschehnisse aufgefasst wird oder nicht„, RA Dr. Niklas Haberkamm, LL.M. oec. in seinem Beitrag vom 14. April 2016.

Auch die StA Mainz berücksichtigt in ihrer Prüfung das Maß, in dem Böhmermann mit seinem Schmähgedicht eine von der Wirklichkeit abgelöste Realität geschaffen hat. Danach erfüllen dienjenigen Passagen im Schmähgedicht umso eher den subjektiven Tatbestand der Beleidigung , die dem realen Urbild Erdogans näher kommen, weil ein solcher Realbezug auf einen Vorsatz hinsichtlich einer persönlichen Beleidigung der realen Person schließen lässt.

Die StA Mainz stellt dazu treffend fest:

Der Beschuldigte hat sich dahingehend eingelassen, es sei ihm an einer derart übertriebenen und von der konkreten Person abgelösten Darstellung gelegen gewesen, dass die fehlende Ernstlichkeit und das Fehlen eines ernst gemeinten Bezuges zur persönlichen Ehre der Person jedem Hörer unmittelbar erkennbar sein sollten und sofort klar werde, dass es sich um einen Witz oder Unsinn handele.

Diese subjektive Einlassung untermauert sie sodann mit objektiven Kriterien:

Diese Einlassung wird durch die objektiv feststellbaren Umstände, nämlich den Inhalt des Stückes, seine Entstehung und die Art der Darbietung gestützt. Maßgebend insoweit ist, wie ein verständiger Dritter unter Beachtung der Begleitumstände und des Gesamtzusammenhangs die Äußerungen versteht. Insoweit ist bereits zu berücksichtigen, dass der Beitrag Bestandteil einer bekanntermaßen satirischen Fernsehsendung war und ein durchschnittlich informiertes verständiges Publikum mithin davon ausgehen dürfte, dass dort getätigte Äußerungen vielfach mit Übersteigerungen und Überspitzungen einhergehen und ihnen die Ernstlichkeit häufig fehlt. Von einem solchen Empfängerhorizont dürfte auch der Beschuldigte ausgegangen sein; zumal er den Charakter der Sendung im Rahmen des Beitrages durch die wiederholte Bezeichnung des Formats als „Quatsch-Sendung“ hervorhob.

Abschließend stellt die Strafverfolgungsbehörde richtigerweise fest, dass sich im Schmähgedicht eine geradezu absurde Anhäufung vollkommen übertriebener, abwegig anmutender Zuschreibungen negativ bewerteter Eigenschaften und Verhaltensweisen findet, denen jeder Bezug zu tatsächlichen Gegebenheiten – offensichtlich beabsichtigt – fehlt. Daraus folgert sie ihre Verneinung des erforderlichen Vorsatzes und berücksichtigt damit letztlich zumindest indirekt den Faktizitätsanspruch des Bundesverfassungsgerichts.

Übertragbarkeit des Ergebnisses des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens auf das zivilrechtliche Verfahren

Unter Berücksichtigung der bewusst vorgenommenen, unsinnig und absurd wirkenden Übertreibungen kommt die StA Mainz  damit folgerichtig zum Ergebnis, dass ein vorsätzlicher bzw. billigend in Kauf genommener Angriff auf den personalen oder sozialen Achtungs- und Geltungsanspruch des türkischen Staatspräsidenten durch Böhmermann nicht vorlag.

Diese Wertung ist im Ergebnis ist auch auf das zivilrechtliche Verfahren übertragbar:

Ein positiver Nachweis, dass die Rezipienten gerade die in Frage stehenden unsäglichen Beleidungen als Darstellung realer Verhältnisse wahrnehmen, wird nicht gelingen. Niemand schreibt diese absurden Beleidigungen aus dem Bereich der Sodomie oder der Pädophilie der realen Person Erdogan tatsächlich zu. Es gab auch niemals irgendwelche Vorwürfe gegenüber der realen Person Erdogan, die in diese Richtung gingen, so dass der Zuschauer den Inhalt der überzogenen Beleidugungen gerade nicht wörtlich nimmt und eine Schilderung tatsächlicher Geschehnisse ausschließt. Die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erforderliche kunstpezifische Betrachtung des Schmähgedichts führt damit im vorliegenden Fall auch an diesem Punkt zu einem Überwiegen der Kunstfreiheit gegenüber dem Persönlichkeitsrecht„, RA Dr. Niklas Haberkamm, LL.M. oec. in seinem Beitrag vom 14. April 2016.

Durch den Abstand der im Gedicht aufgezeigten Kunstfigur, samt der ihr dort zugedachten Eigenschaften und Neigungen zum realen Urbild Erdogans, kommt man dementsprechend auch aus zivilrechtlicher Sicht zum Ergebnis, dass gerade die Absurdität und die damit einhergehende Heftigkeit der Beleidigungen zu einer so erheblichen Schmälerung des Schutzbereichs des Persönlichkeitsrechts zugunsten der Kunstfreiheit führen, dass der von Erdogan geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu verneinen ist. Weil neben dem Vorliegen einer Schmähkritik auch ein Eingriff in die Menschenwürde zu verneinen ist, hat das Persönlichkeitsrecht von Erdogan in der damit erforderlichen Abwägung zurückzutreten.

Fortführung des zivilrechtlichenVerfahrens im November 2016

Am 2. November 2016 geht die Causa Böhmermann auf zivilrechtlicher Ebene vor dem Landgericht Hamburg weiter. Das Landgericht Hamburg hat dann im Rahmen des Hauptsacheverfahrens die Möglichkeit, seine falsche Entscheidung aus dem vorangegangenen Eilverfahren noch einmal zu korrigieren. Das Landgericht hatte in diesem Verfügungsverfahren festgestellt, dass Teile des Schmähgedichts zulässig seien, während andere Teile verboten wurden.

Warum dieses Ergebnis eines Auseinanderreißens des Gedichts in einen überwiegend unzulässigen und einen kleinen, übrig bleibenden zulässigen Teil eindeutig den Wertungen des Bundesverfassungsgerichts widerspricht und warum die Zulässigkeit des Schmähgedichts letztlich trotz der immer wieder in der Diskussion vorgebrachten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Strauß Karikaturen (BVerfG, Beschl. v. 03.06.1987 1 BvR 313/85) auch aus zivilrechtlicher Sicht festgestellt werden wird, wird an dieser Stelle noch vor Fortführung des Verfahrens Anfang November in einem weiteren Beitrag dargelegt werden. (ha)

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