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Blogger können aufatmen: Bereithalten von Äusserungen in Online-Archiven ist zulässig, wenn diese zum ursprünglichen Veröffentlichungszeitpunkt zulässig waren

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Der Bundesgerichtshof hat durch Urteile vom 15. Dezember 2009 – VI ZR 227/08 und VI ZR 228/08  entschieden, dass die wegen Mordes an dem Schauspieler Walter Sedlmayr Verurteilten vom Sender Deutschlandradio nicht verlangen können, es zu unterlassen, in dem für Altmeldungen vorgesehenen Teil des Internetauftritts www.dradio.de Mitschriften nicht mehr aktueller Rundfunkbeiträge weiterhin zum Abruf bereitzuhalten, in denen im Zusammenhang mit dem Mord an Walter Sedlmayr der Name der Verurteilten genannt wird.

Die Klage hatte in den Vorinstanzen Erfolg. Auf die Revision der Beklagten hat der u. a. für den Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs die Urteile der Vorinstanzen (LG Hamburg und OLG Hamburg) aufgehoben und die Klagen abgewiesen.

Eine vollständige Begründung liegt noch nicht vor. Hier kann aber bereits die Pressemitteilung eingesehen werden. Dort wird unter anderem wie folgt ausgeführt:

„Zwar liegt in dem Bereithalten der die Kläger identifizierenden Meldung zum Abruf im Internet ein Eingriff in deren allgemeines Persönlichkeitsrecht. Der Eingriff ist aber nicht rechtswidrig, da im Streitfall das Schutzinteresse der Kläger hinter dem von der Beklagten verfolgten Informationsinteresse der Öffentlichkeit und ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung zurückzutreten hat. Die beanstandete Meldung beeinträchtigt das Persönlichkeitsrecht der Kläger einschließlich ihres Resozialisierungsinteresses unter den besonderen Umständen des Streitfalls nicht in erheblicher Weise.“

und weiter:

„Zu berücksichtigen war darüber hinaus, dass ein anerkennenswertes Interesse der Öffentlichkeit nicht nur an der Information über das aktuelle Zeitgeschehen, sondern auch an der Möglichkeit besteht, vergangene zeitgeschichtliche Ereignisse zu recherchieren. Das von den Klägern begehrte Verbot hätte einen abschreckenden Effekt auf den Gebrauch der Meinungs- und Medienfreiheit, der den freien Informations- und Kommunikationsprozess einschnüren würde. Würde auch das weitere Bereithalten ausdrücklich als solcher gekennzeichneter und im Zeitpunkt der Einstellung zulässiger Altmeldungen auf dafür vorgesehenen Seiten zum Abruf im Internet nach Ablauf einer gewissen Zeit oder nach Veränderung der zugrunde liegenden Umstände ohne weiteres unzulässig und wäre die Beklagte verpflichtet, von sich aus sämtliche archivierten Hörfunkbeiträge immer wieder auf ihre Rechtmäßigkeit zu kontrollieren, würde die Meinungs- und Medienfreiheit in unzulässiger Weise eingeschränkt. Angesichts des mit einer derartigen Kontrolle verbundenen personellen und zeitlichen Aufwands bestünde die Gefahr, dass die Beklagte entweder ganz von einer der Öffentlichkeit zugänglichen Archivierung absehen oder bereits bei der erstmaligen Sendung die Umstände ausklammern würde, die  wie vorliegend der Name des Straftäters  die Mitschrift der Sendung später rechtswidrig werden lassen könnten, an deren Mitteilung die Öffentlichkeit aber im Zeitpunkt der erstmaligen Berichterstattung ein schützenswertes Interesse hat.“

Auf den ersten Blick scheint die Entscheidung für den gewöhnlichen Blogger nicht sehr spektakulär. Es beschweren sich ja nicht alle Tage Mörder über eine Berichterstattung über ihre Tat. In der Entscheidung gewissermaßen etwas versteckt ist aber wohl zumindest eine Tendenz des BGH zu der Entscheidung der unter Oberlandesgerichten höchst umstrittenen Frage zu erkennen, inwieweit die Zugänglichmachung von Informationen in einem „Online-Archiv“ auch dann noch zulässig ist, wenn die Ereignisse die Berichterstattung „überholt“ haben.

Die Archivierung von Informationen, die im Zeitpunkt ihrer Erstveröffentlichung nach äußerungsrechtlichen Maßstäben nicht zu beanstanden waren, bleibt nämlich nach in der Rechtsprechung überwiegend vertretener Auffassung zulässig. (KG, Beschluss v. 19.10.2001 – 9 W 132/01 = AfP 2006, 561; OLG Köln, Beschluss v. 14.11.2005, 15 W 60/05; OLG Frankfurt, Beschlüsse v. 20.09.2006, 16 W 54/06; 56/06 = OLGR 2007, 335; 57 /06; OLG Frankfurt, Urteil v. 22.05.2007, Az. 11 U 72/06 = MMR 2008, 182). Insbesondere das OLG Köln und das OLG Frankfurt gehen in einem solchen Fall davon aus, dass der Äußerungsgehalt der beanstandeten Mitteilung sich innerhalb des mit dem ursprünglichen Erscheinungsdatum versehenen Artikels damit lediglich in einem Hinweis auf eine in der Vergangenheit zulässige Berichterstattung erschöpfe. (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss v. 20.09.2006, Az. 16 W 56/06 = NJW-RR 2007, 988;OLG Köln, Beschluss v. 14.11.2005, 15 W 60/05).

Viele Blogger standen jedoch vor dem Hintergrund insbesondere der strengen Hamburger Rechtssprechung, von Kritikern auch als „Hamburger Landrecht“ bezeichnet, die der BGH mit seiner Entscheidung nun aufgehoben hat, gewissermaßen „mit einem Bein im Knast“. Denn sie konnten nie sicherstellen, dass der gestern gebloggte Beitrag auch am Folgetag noch vollumfänglich den Gegebenheiten entsprach. Da der von der Äußerung Betroffene sich vor dem Hintergrund des „fliegenden Gerichtsstands“ ein Gericht aussuchen kann, war dieser dumm, wenn er mit seinem Anliegen nicht nach Hamburg gegangen wäre. Dieser Möglichkeit ist jetzt durch den BGH ein Riegel vorgeschoben worden.

Der BGH hat den Obergerichten einen wichtigen Hinweis gegeben, wie mit zukünftigen Fällen  von Archivberichterstattung umzugehen sein wird. Denn er hebt unseres Erachtens zu Recht hervor, dass der Betrieb von „Online-Archiven“, unter die  die meisten BLOGs zu subsumieren sind, faktisch unmöglich würde, wenn der Veröffentlichende seine tagesaktuellen und zum Einstellungszeitpunkt den Tatsachen entsprechenden Medlungen immer wieder auf Aktualität überprüfen müsste. Wir sind gespannt wie die Instanzgerichte reagieren. (la) Zur Pressemitteilung

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