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LG München I weist Antrag auf einstweilige Verfügung zurück: BILD-Pranger ist zulässig

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LG München Pranger der Schande Bild
© wickerwood – Fotolia.com

Im Oktober 2015 hatte die BILD einen “Pranger der Schande” errichtet.

Dargestellt wurden 40 Screenshots fremdenfeindlicher Hass-Kommentare von Facebooknutzern mit deren vollständigen Namen nebst Profilbildern. Wir hatten darüber sowohl bei uns im Magazin hier und hier, als auch in einem Artikel in der Legal Tribune ONLINE (LTO) berichtet.

Ausgerechnet die BILD

Abgesehen davon, dass sich nicht nur der BILDBlog fragt, weshalb sich ausgerechnet die BILD-Zeitung dazu berufen fühlt, den Hass einfach gestrickter, “besorgter” Bürger anzuprangern, den sie für gewöhnlich selbst regelmäßig sät, hatten wir die Auffassung vertreten, dass der “Pranger” rechtlich zulässig sein dürfte.

LG München I weist Antrag auf einstweilige Verfügung zurück

Wie die LTO am 11.12.2015 berichtet, teilt das Landgericht München I offenbar unsere Meinung und hat einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung einer “angeprangerten” Facebooknutzerin nach mündlicher Verhandlung zurückgewiesen. Dies teilte die Anwaltskanzlei Raue LLP am Freitag mit, die den Axel Springer-Verlag bei dem Verfahren vertrat. Die öffentliche Wiedergabe der Facebook-Kommentare in der Printausgabe und der Onlineversion verletze weder die Persönlichkeitsrechte der Antragstellerin, noch sei sie urheberrechtlich zu beanstanden (LG München I, Urteil v. 10.12.2015, Az. 7 O 20028/15).

Urherrechtliche Begründung – soweit ersichtlich – bedenklich

Die Entscheidung scheint zur Zeit noch nicht veröffentlicht zu sein, die Begründung ist nicht vollständig bekannt. Auch wenn die Entscheidung im Ergebnis richtig sein mag, erscheinen die bisher auf LTO genannten Argumente zur urheberrechtlichen Unbedenklichkeit der Veröffentlichung des Profilbilds zweifelhaft.

Mit dem Verweis auf europarechtliche Vorgaben bezieht sich das Landgericht München I offenbar auf die EuGH-Entscheidung, die zu einem “embedded” YouTube-Video nach einer Vorlage durch den BGH ergangen ist (EuGH, Beschluss v. 21.10.2014, Az. C-348/13). Danach stellt eine Verlinkung auf ein an anderer Stelle öffentlich zugänglich gemachtes urheberrechtlich geschütztes Werk sogar dann keine Rechtsverletzung dar, wenn eine Grafik von einer fremden Seite in eine Website so eingebunden wird, dass sie als Teil der Website (Inline-Link) erscheint. Dies allerdings nur dann wenn sich die öffentliche Zugänglichmachung

  • sich nicht an ein neues Publikum richtet und
  • keine anderen technischen Mittel zur Einbindung verwendet werden.

Nach diesen Vorgaben handelt es sich bei der Gestaltung auf BILD, die nicht aus Verlinkungen der Facebookbeiträge, sondern aus schlichten Vervielfältigungen in Gestalt von Screenshots besteht, grundsätzlich um Eingriffe in das Urheberrecht der jeweiligen Fotografen (die natürlich mit den Abgebildeten meist nicht identisch sind).

Schrankenbestimmungen sind eng auszulegen

Auch die vom Gericht bemühten Schrankenbestimmungen dürften nicht einschlägig sein. Die analoge Anwendung ist nur begrenzt möglich. Wie alle auf der Sozialbindung des geistigen Eigentums beruhenden Schrankenbestimmungen ist die der Meinungs- und Pressefreiheit sowie dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit dienende Regelung grundsätzlich eng auszulegen, weil sie das Ergebnis einer schon vom Gesetzgeber vorgenommenen Abwägung zweier verfassungsrechtlicher Positionen darstellt (BGH, GRUR 2002, 1050, 1051 -Zeitungsbericht als Tagesereignis).

§ 48 UrhG, öffentliche Reden

Die analoge Anwendung der Schrankenbestimmung des § 48 UrhG auch auf die Profilbilder erscheint bedenklich, da § 48 UrhG im Interesse der Öffentlichkeit an schneller Unterrichtung und der Pressefreiheit das Urheberrecht an bestimmten öffentlich gehaltenen Reden einschränkt. Diese Reden dürfen unter den in § 48 genannten Umständen über das Zitatrecht des § 51 hinaus in ihrem Wortlaut zustimmungs- und vergütungsfrei wiedergegeben werden (Dreier/Schulze/Dreier UrhG § 48 Rn. 1). Die Verwendung der Abbildung des Redners ist für die Erfüllung dieses gesetzgeberischen Zwecks allerdings nicht erforderlich, so dass es bereits an der für einen Analogie erforderlichen Regelungslücke fehlen dürfte.

§ 51 UrhG , Zitate

Ähnliches gilt für die Schranke des § 51 UrhG. Auch hier ist nicht ersichtlich, wie die Veröffentlichung des Facebookprofilfotos dem Zitatzweck überhaupt dienen können soll, nach dem das zitierte Werk zur Erläuterung des Inhalts des aufnehmenden Werks verwendet werden muss. Sprich: Das Facebookprofilbild gibt für die von BILD “angeprangerte” Nachricht überhaupt nichts her.

§ 50 UrhG , Berichterstattung über Tagesereignisse

Schließlich dürfte auch der § 50 UrhG der BILD nicht helfen, dessen Ausnahme dem Informationsinteresse der Allgemeinheit dient. Diese soll in anschaulicher Form über aktuelle Tagesereignisse unterrichtet werden können, ohne dass der Berichterstatter die Urheberrechte an jedem einzelnen der im Zuge der Berichterstattung akustisch oder optisch in Erscheinung tretenden geschützten Werke erwerben müsste (Dreier/Schulze/Dreier UrhG § 50 Rn. 1). Denn es handelt sich bei den Hetzbeiträgen auf Facebook nicht (mehr) um aktuelle Tagesereignisse. Für Online-Archive, in denen Beiträge für längere Zeit öffentlich zugänglich gemacht werden, gilt die Schranke ohnehin nicht (BGH MMR 2011, 544 – öffentliches Zugänglichmachen von Werken aus einem Online-Archiv).

Neben den Entscheidungsgründen sind wir insbesondere auch auf die Antragsfassung und -begründung gespannt. Daran wird zu beurteilen sein, ob die die Entscheidung haltbar oder – zumindest teilweise – vom OLG zu korrigieren sein wird.

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