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Das Problem richterlicher Praxishinweise am Beispiel der "Kohl-Protokolle": Hätte ein Auskunftsantrag gem. § 101a UrhG eine effektivere Rechtsdurchsetzung ermöglicht?

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RichtersprichtmitAnwaltRichter Dr. Mark Lerach erläutert in einer Anmerkung zu einer Entscheidung des Landgerichts Köln (LG Köln, Beschluss v. 07.10.2014, Az. 28 O 434/14) am Fall der „Kohl-Protokolle“ die Möglichkeiten des Anspruchs gemäß § 101a UrhG auf Vorlage und Besichtigung.

Die Verfügungsverfahren vor dem Landgericht Köln waren entweder ohne Erfolg oder „zu spät“

Die Autoren Heribert Schwan und Tilman Jens veröffentlichten Anfang Oktober 2014 im zur Random House-Gruppe gehörigen Heyne-Verlag ohne Zustimmung Helmut Kohls das Buch „Vermächtnisse – Die Kohl-Protokolle“. Obwohl Kohl die Herausgabe der Tonbänder bereits erfolgreich gerichtlich erwirkt hatte, wertete Schwan die Tonbänder für ein eigenes Buch aus. Nach einer Vorabveröffentlichung von Passagen im SPIEGEL wurde das Buch offiziell vorgestellt und an den Buchhandel ausgeliefert. Kohl beantragte bei der Pressekammer des Landgerichts Köln per einstweiliger Verfügung, die Veröffentlichung des Buches zu untersagen.

Das Landgericht Köln wies den Unterlassungsantrag gegen Schwan ohne mündliche Verhandlung zurück, da dieser in jedem Fall zu weitgehend sei. Auch der in einem Parallelverfahren gestellte Unterlassungsantrag gegenüber dem Verlag Random House wurde von der 28. Zivilkammer aus dem gleichen Grund zurückgewiesen. Nachdem Kohl gegen die abweisenden Beschlüsse zunächst sofortige Beschwerde zum OLG Köln eingelegt hatte, nahm er diese – offenbar nach Hinweisen des OLG Köln – wieder zurück. Erst ein weiterer Unterlassungsantrag, der die gerügten Textpassagen im einzelnen enthielt, hatte bei der 14. Zivilkammer des LG Köln überwiegend Erfolg (LG Köln, Urt. v. 13.11.2014 – 14 O 315/14; Brexl, GRURPrax 2015, 16; Lerach, jurisPR-WettbR 2/2015 Anm. 5).

Neben lesenswerten rechtlichen Erwägungen zum Sachverhalt, weist Lerach in seiner Anmerkung auch auf die praktischen Auswirkungen des Falls hin.

Kohl stand nämlich vor dem prozessualen Problem, vor Veröffentlichung bzw. Auslieferung der Buchexemplare keine Kenntnis vom genauen Inhalt des Buchs zu haben. Dementsprechend konnte auf Basis der zunächst vorliegenden Informationen lediglich ein entweder zu weitgehender oder unbestimmter Unterlassungsantrag gestellt werden. Kohl hatte es so versucht und wurde, wohl zu Recht, damit von dem zuständigen Landgericht abgewiesen.

Der nach dem Erscheinen der „Kohl-Protokolle“ gestellte Unterlassungsantrag, der nunmehr die konkreten vermeintlich rechtsverletzenden Textpassagen enthielt, kam jedoch insofern zu spät, als dass bis zum Urteil der 14. Zivilkammer des LG Köln, mit dem schließlich ein weitgehendes Verbot der konkret angegriffenen Passagen erreicht worden ist, ca. 200.000 Bücher ausgeliefert wurden. Der erstrebte wirtschaftliche Erfolg hatte sich für Random House bis zum Erlass des Urteils also schon eingestellt.

Lerach stellt die These auf, dass die Geltendmachung eines Anspruchs gemäß § 101a UrhG auf Vorlage und Besichtigung Kohl zu einer effektiveren Durchsetzung seiner Ansprüche verholfen hätte. Ein zunächst nur auf Besichtigung gerichteter Antrag im Wege der einstweiligen Verfügung hätte Kohl möglicherweise in die Lage versetzt, ein Verbot der 115 Einzelzitate bereits vor deren Veröffentlichung zu erreichen oder ggf. sogar ein umfassendes Verbot besser zu begründen (Brexl, GRURPrax 2014, 558). Da ein solcher Auskunftsanspruch gemäß § 101a Abs. 3 UrhG explizit auch im Wege einer einstweiligen Verfügung durchgesetzt werden könne und dessen Grundsätze auch auf einen persönlichkeitsrechtlichen Auskunftsanspruch gemäß § 809 BGB Anwendung finden müssten, hätte ein solches Vorgehen auch im vorliegenden Falle zügig zum Ziel geführt.

Dr. Mark Lerach schließt mit der Empfehlung für die Praxis, wonach in vergleichbaren Fällen erwogen werden solle, zunächst einen Anspruch auf Vorlage und Besichtigung geltend zu machen, um eine vorschnelle Zurückweisung von Unterlassungsanträgen gegen bevorstehende Veröffentlichungen zu vermeiden.

Das Problem richterlicher Praxishinweise aus Anwaltssicht

Obwohl dieser richterlichen Praxisempfehlung grundsätzlich beizupflichten ist, muss man aus anwaltlicher praktischer Erfahrung aber natürlich zunächst darauf hinweisen, dass man „hinterher immer schlauer ist“. Wenn ein bestimmtes prozessuales Vorgehen nicht zum Erfolg führt, wäre es rückblickend natürlich immer sinnvoller gewesen, andere Maßnahmen zu ergreifen. Ein Richter hat insofern eine komfortable Position. Er ist nämlich derjenige, der dem Anwalt diese rückblickende Weisheit – zum Beispiel wie im vorliegenden Fall durch zurückweisende Beschlüsse – vermittelt.

Lerach unterschätzt unseres Erachtens auch die Unsicherheiten, die mit der Geltendmachung des in der Praxis (außer in Filesharingfällen) noch nicht eingehend erprobten Auskunftsanspruchs insbesondere in Gestalt einer einstweiligen Verfügung einhergehen. Er vernachlässigt zudem den Umstand, dass urheberrechtliche Ansprüche insbesondere von der 14. Zivilkammer, die dem Unterlassungsanspruch Kohls letztendlich stattgegeben hat, explizit abgelehnt wurden (LG Köln, Urt. v. 13.11.2014 – 14 O 315/14). Auch wenn § 101a UrhG nur eine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Rechtsverletzung fordert, wäre der Erfolg schon deshalb zweifelhaft gewesen. Die Behauptung, dass diese Grundsätze auf Grundlage des Besichtigungsanspruchs nach § 809 BGB auch für Verletzungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts gelten, wird vom Autor nicht näher begründet. Die Möglichkeiten, die § 809 BGB dem Verletzten einräumt, bleiben jedoch an mehreren Stellen hinter dem zurück, was gemäß § 101a UrhG möglich ist. Im Rahmen des § 809 BGB muss  – anders als beim § 101a UrhG – zum Beispiel die Rechtsverletzung feststehen. Es stellen sich somit zusätzliche Probleme, die im Rahmen eines Auskunftsantrags hätten geklärt werden müssen.

Mit einem Antrag auf Vorlage und Besichtigung wäre somit unabhängig von dessen Ausgang somit eventuell wertvolle Zeit verschwendet worden, die noch vor der wirtschaftlich erfolgreichen Verwertung der Protokolle zu Vergleichsverhandlungen hätte genutzt werden können. Ein schnell rechtshängig gemachter Antrag auf einstweilige Verfügung kann dazu eine zügige Möglichkeit eröffnen, insbesondere dann, wenn das Gericht diesen zum Anlass nimmt, kurzfristig zu einer mündlichen Verhandlung zu laden.

Last but not least ist ein richterlicher Praxishinweis für das anwaltliche Tagesgeschäft nur bedingt wertvoll. Denn ein Anwalt kann entsprechende Hinweise eines Richters – seien sie auch noch so richtig – seinen Überlegungen zur prozessualen Vorgehensweise bereits deswegen nicht zu Grunde legen, da er nicht wissen kann, ob er mit seinem Antrag vor diesen oder wenigstens einen Richter gelangt, der eine ähnliche Auffassung vertritt. Die anwaltliche Vorsicht gebietet es somit, sozusagen mit dem „Schlimmsten“ zu rechnen. Daher überwiegen – wie im vorliegenden Fall – oft taktische Überlegungen, die sich aus rein rechtlicher Perspektive nicht immer auf den ersten Blick erschließen.

Im vorliegenden Fall sind die Herrn Kohl beratenden Kollegen nach der Abwägung ihrer Möglichkeiten offenbar davon ausgegangen, dass es am sinnvollsten sei, umgehend einen einstweiligen Verfügungsantrag anhängig zu machen. Dieses Vorgehen hatte zwar letztendlich nicht den erwünschten Erfolg. Es war deswegen aber nicht von vornherein weniger erfolgsversprechend oder gar falsch. (la)

(Bild: Lawyer speaking with the judge © WavebreakMediaMicro – Fotolia)

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